Ein Artikel aus dem Open Source Jahrbuch 2005, Kapitel Gesellschaft. Lizenzierung:
Wie anarchistisch ist die Hackerethik? Warum bezeichnet sich Richard Stallman, eine der herausragendsten Figuren der freien Software-Bewegung, selbst als Anarchist? Wir dürfen uns die Anarchisten der freien Software nicht klischeehaft als Chaoten mit zerzausten Haaren, irrem Blick und Armen voller Bomben vorstellen. Ganz im Gegenteil: Sie fordern eine neue Ordnung des "geistigen Eigentums" im Sinn der Hackerethik - Der Zugriff auf Wissen soll frei, dezentral, antibürokratisch und antiautoritär sein. Genau in diesen Forderungen hat die Hackerethik ihre anarchistischen Momente und ihre Bedingung ist der amerikanische Anarchismus. Während der Anarchismus in Europa längst verschwunden ist, hat er in der amerikanischen Tradition überdauert. Aus dieser Tradition heraus reagierten die ersten Hacker am MIT mit praktischem Anarchismus auf die Autoritäten, die ihren Zugang zum Computer beschränken wollten. Für Stallman war das Hackerparadies am MIT der lebendige Beweis dafür, dass eine anarchistische Gemeinschaft möglich ist. Nach ihrem Vorbild gründete er eine neue Hackergemeinschaft: Das GNU-Projekt. Die freie Software-Bewegung in Form von GNU, BSD oder Open Source Initiative ist die radikale, anarchistische Kritik an der heutigen Ordnung des "geistigen Eigentums". Im Gegensatz zu den BSD-Vertretern oder dem marktwirtschaftlichen Anarchismus Eric Raymonds plädiert Stallman für einen genossenschaftlichen Anarchismus, dass wir uns freiwillig zusammensetzen und ausdenken sollen, wie wir durch Zusammenarbeit für alle sorgen können.
Christian Imhorst studierte bis 2004 Politische Wissenschaft und Philosophie an der
Universität Hannover. Seine Magisterarbeit schrieb er über
"Richard Stallman und die freie Software-Bewegung", die Anfang 2005 unter dem Titel
"Die Anarchie der Hacker" als Buch erschien.