von Ursula Holtgrewe
1. Open Source als Innovations- und Gesellschaftsmodell?
Die Entwicklung freier und Open-Source-Software ist in letzter Zeit nicht
mehr nur unter IT-ExpertInnen auf Interesse gestoßen. Innovationsforscher
sehen hier einen Weg, der technische und soziale Innovation verbindet
und dabei einige der Dilemmata und Risiken der Innovation für den
Markt auflöst (Lakhani und von Hippel 2000; Moon und Sproull 2000;
Tuomi 2002). GesellschaftstheoretikerInnen sehen im Entwicklungsmodell
freier Software gar ein Modell für die Produktions- und Lebensweise
von Wissensgesellschaften, das, je nach Standpunkt, die Institutionen
kapitalistischer Produktion überwinden könnte (Grassmuck 2000;
Meretz 2000; Himanen 2001; Gorz 2002).
So attraktiv also das Modell FS/OS innovations- und gesellschaftstheoretisch
ist, stellt sich doch die Frage seiner Reichweite und Verallgemeinerbarkeit.
Wie sehen die Voraussetzungen und "Erfolgsgeheimnisse" der
freien Software empirisch aus, wenn man sie auf die Struktur von Projekten
und die Arbeitsweisen und Motivationen der EntwicklerInnen bezieht?
Die These dieses Beitrags ist, dass die virtuelle, offene und selbstbestimmte
Kooperation, die das Entwicklungsmodell FS/OS ausmacht, auf sehr
spezifischen sozialen und technischen Voraussetzungen beruht, die einander
wechselseitig stützen. Ob die proklamierte Offenheit und die Partizipationschancen
in der Tat zu einer Demokratisierung von Technikentwicklung führen
oder ein letztlich exklusives Modell darstellen, ist sozial noch nicht
entschieden.
1.1 Innovation im Netz
Innovationen sind in Organisationen und auf Märkten grundsätzlich
so notwendig wie problematisch. Schon die Erzeugung neuen Wissens
und dessen Überführung in Innovationen erzeugt Unsicherheit:
Wer mit welchem Wissen und mit wie viel Aufwand in welcher Zeit eine Erfindung
hervorbringt, die sich dann auch als Innovation verwerten lässt -
das kann ein Unternehmen im Vorfeld nicht wissen, denn sonst wäre
es keine Innovation (Rammert 1988; Ortmann 1995). Sodann stellen
Innovationen - abhängig von ihrer Reichweite - gerade
die Stärken bisheriger Organisationsprozesse und Strukturbildungen
in Frage. Regeln und Routinen stehen zur Disposition, Ressourcen werden
entwertet (Schumpeters "schöpferische Zerstörung",
vgl. Rammert 1997)... (Auszug)
Ursula Holtgrewe, PD Dr. rer. pol., ist Soziologin und lehrt Arbeits- und Organisationssoziologie an der Universität Duisburg/Essen. Sie hat Soziologie, Politikwissenschaften, Europäische Ethnologie, Neuere Deutsche Literatur und Communication Studies in Marburg und London studiert, 1996 an der Universität Kassel promoviert und sich 2003 an der Universität Duisburg/Essen habilitiert. Ihre Arbeitsgebiete sind Organisation, Innovation und Subjektivität sowie Dienstleistungsarbeit und Handlungstheorie.